„Aber wenigstens hat Hitler die Autobahn erfunden.“ Diesen Satz hat wahrscheinlich jeder schon einmal gehört, wenn es darum geht die Verbrechen der Nazi-Zeit zu relativieren. Tatsächlich eröffnete Hitler vor 85 Jahren, am 19. Mai 1935, die Autobahn-Teilstrecke von Frankfurt nach Darmstadt. Bis heute hält sich daher hartnäckig der Mythos, dass der Diktator die Autobahn erfunden habe. Doch wie kommt es zu dieser falschen Annahme? Die Nazis sorgten mit mehreren Maßnahmen dafür, dass auch heute immer noch Menschen an das Lügenkonstrukt glauben.

„Hitler hat weder die Autobahn erfunden noch hat er die erste Autobahn gebaut“, sagt der Historiker Bernd Sösemann, Leiter der Forschungsstelle AKiP an der Freien Universität Berlin. Denn die Idee zur deutschen Autobahn, einer kreuzungsfreien Straße mit je zwei Spuren pro Richtung, hatte Konrad Adenauer. Der spätere Bundeskanzler war damals noch Oberbürgermeister von Köln. Bereits am 6. August 1932 eröffnete er die „Kraftwagenstraße“ zwischen Köln und Bonn. Adenauer betonte: „So werden die Straßen der Zukunft aussehen!“

Die Nazis reagierten zunächst noch mit Ablehnung. Sie behaupteten, dass von den „Nur-Autostraßen“ lediglich „reiche Aristokraten und jüdischen Großkapitalisten“ profitieren würden. Erst nach ihrer Machtergreifung entdeckten die Nationalsozialisten die Autobahnen als Propagandaprojekt. Im September 1933 begannen sie mit den Planungen und Arbeiten an der „Reichsautobahn“. Ein Projekt, dass die „Mobilität der Volksgemeinschaft“ fördern solle. Um nicht zugeben zu müssen, dass Adenauer ihnen bereits zuvorgekommen war, stuften die Nazis die „Autobahn“ zwischen Köln und Bonn ohne Grund zur Landstraße herunter.

Die „Reichsautobahnen“ sollten zudem das Problem der Arbeitslosigkeit lösen. Doch auch hier täuschten die Nazis die Bevölkerung. 600.000 Menschen und damit etwa zehn Prozent der Erwerbslosen sollten durch den Bau der Autobahnen wieder Arbeit finden. Später wird deutlich: Es waren bestenfalls 130.000 Personen – und die Beschäftigten mussten oft unter widrigen Bedingungen und bei geringem Lohn arbeiten. Bei Streiks drohte das Konzentrationslager. Parolen wie „Die Autobahn, sie macht uns tot, wir wählen morgen wieder rot!“ kursierten unter den Arbeitern.

Nach Ausbruch des Krieges wurden die Arbeiten an der Autobahn vor allem von Kriegsgefangenen, Häftlingen aus Konzentrationslagern und andere Zwangsarbeitern ausgeführt. Bei der Einstellung der Arbeiten im Jahr 1943 stand ein Autobahn-Netz von rund 3.900 Kilometern zur Verfügung. Zum Vergleich: Die Bundesrepublik verfügt heute über ein Autobahn-Netz von 13.100 Kilometern.

Ob Hitler bereits frühzeitig den Hintergedanken hatte, die Autobahnen für Kriegszwecke nutzen zu können, ist unklar. Experten sehen den Bau der Straßen und die einhergehende Mobilitätssteigerung aber zumindest als indirekten Teil des Rüstungsplanes. Ironie der Geschichte: Den alliierten Streitkräften dienten die Autobahnen am Kriegsende in West- und Mitteldeutschland als schnelle Marschwege.

In unserer Region wurden viele Strecken erst weit nach dem Krieg zu Autobahnen – so zum Beispiel die A28 zwischen Leer und Delmenhorst im Jahr 1974.