Noch vergangene Woche dürfte die kleine ostfriesische Ortschaft Jheringsfehn (2.500 Einwohner) über unserer Region hinaus kaum bekannt gewesen sein. Inzwischen ist das anders. Denn aus einem Restaurantbesuch resultierten dort 18 neue Corona-Fälle. Es könnten sogar noch mehr werden. 133 Personen befinden sich in Quarantäne. Unterdessen zieht der Infektionsausbruch so weite Kreise, dass auch die Meyer Werft in Papenburg betroffen ist. Wurde im Restaurant fahrlässig gehandelt? Oder gibt es andere Ursachen? Die Ansichten gehen auseinander. Auswirkungen auf die nächsten Lockerungen für Restaurants in Niedersachsen hat der Fall nicht. Ab heute dürfen Gaststätten wieder alle Tische besetzen (und nicht nur jeden zweiten). Der Mindestabstand von 1,50 Metern muss aber eingehalten werden. Pro Tisch sind aber weiterhin nur Angehörige aus maximal zwei Haushalten erlaubt.

Am 15. Mai eröffnete die „Alte Scheune Jheringsfehn“ nach einem Jahr wieder – zunächst im Rahmen eines so genannten „Pre-Opening“ mit geladenen Gästen, das auch dazu dienen sollte, Betriebsabläufe zu testen. Vorwürfe, dass es sich um eine „private Party“ gehandelt habe, weist der der ebenfalls infizierte Betreiber des Restaurants deutlich zurück: „Das ist eine Lüge. Der 15. Mai war ein regulärer Öffnungstag des Restaurants, mit dem Unterschied der geschlossenen Gesellschaft.” Gegenüber der Nachrichtenagentur „NonstopNews“ berichtet der Betreiber, dass 40 Gäste vor Ort waren. Die Abstände seien eingehalten worden. Nur jeder zweite Tisch sei besetzt worden. „Auf den Tischen lagen Listen aus, in denen sich die Gäste eintragen mussten.“

Öffentlich wurde der Fall, als ein Leeraner Arzt Alarm schlug. Er hatte sich mit dem Coronavirus infiziert und gehörte zu den Gästen an jenem besagten Restaurant-Abend. Inzwischen ist bestätigt, dass 14 der Restaurant-Gäste sich infiziert haben. Dazu kommen vier infizierte Personen, die Kontakt zu den Gästen hatten. Der „Alte Scheune“-Betreiber räumt gegenüber NonstopNews ein, dass einige Gäste Alkohol getrunken hatten und sich deshalb von Bekannten oder Taxis abholen ließen.

An drei weiteren Tagen öffnete die „Alte Scheune“ wie geplant für den regulären Betrieb. Ob auch Besucher infiziert wurden, die an einem dieser Tage zu Gast waren, ist noch unklar. Inzwischen ist das Restaurant geschlossen.

Der Landkreis Leer prüft, ob in dem Restaurant gegen die Hygiene-Regeln verstoßen wurde. Landrat Matthias Groote bestätigte in mehreren Interviews, dass Hinweise und Augenzeugenberichte dafür vorliegen. So sollen Hände geschüttelt worden sein und es sei zu Umarmungen gekommen. Ein Mitarbeiter des Restaurants soll sich zu den Gästen an die Tische gesetzt haben. Bestätigen sich diese Aussagen, dann droht dem Restaurant-Betreiber eine Strafe von bis zu 25.000 Euro.

Zunächst war der Gastronom noch offensiv mit der Situation umgegangen. Inzwischen fühlt er sich von mehreren Medien falsch dargestellt und möchte nicht mehr, dass sein Name genannt wird. Er wehrt sich gegen die Vorwürfe und betont in den sozialen Medien: “Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Personen bereits im privaten Umfeld infiziert haben, da es sich bei den Personen sowohl um Freunde als auch um Geschäftspartner handelt.“ Der Restaurant-Chef gibt aber zu, dass er seine Eltern in der Euphorie der Wiedereröffnung umarmt habe. Zudem habe er sich zwischenzeitlich ohne Schutzmaske im Gastraum aufgehalten.

Als geladene Gäste waren am Abend der „Pre-Opening“ offensichtlich auch hochrangige Mitarbeiter der Papenburger Meyer Werft vor Ort. Werftsprecher Paul Bloem bestätigte gegenüber der „Rheiderland-Zeitung“ zwei Corona-Infektionen, die „außerhalb der Werft“ entstanden seien. Dies habe auch eine Quarantäne mehrerer Kontaktpersonen zur Folge gehabt. Nach NDR-Informationen handelt es sich bei der einen infizierten Person um die Personalchefin der Meyer Werft. Laut NDR habe sie in der Woche nach ihrem Restaurant-Besuch der „Alten Scheune“ noch an mehreren Sitzungen der Werft teilgenommen.

Im Landkreis Leer wähnten sich viele Bürger zuletzt auf der sicheren Seite, schließlich hatte es vor den Restaurant-Vorfällen über eine Woche lang keine bestätigten Corona-Neuinfektionen mehr gegeben. Der bekannte Lingener Virologe Christian Drosten hatte aber schon kurz vor dem Fall in Jheringsfehn vor den Gefahren von so genannten „Aerosol-Partikeln“ in Restaurants gewarnt. In diesen feinsten Schwebeteilchchen könnten sich infektiöse Viren “tatsächlich für mehrere Stunden” halten, so Drosten. In geschlossenen Gasträumen könne das gefährlich sein.

Unterdessen sorgt der Corona-Ausbruch in Jheringsfehn für ein weitreichendes Medienecho. In der „Tagesschau“ waren die Vorfälle die Hauptmeldung. Über 8 Millionen Haushalte sahen die Sendung in Deutschland. Auch Spiegel und Bild berichteten. In den Niederlanden hatte der Vorfall ebenfalls für viel Aufsehen gesorgt. Neben den regionalen Medien berichteten unter anderem RTL und der staatliche Rundfunk NOS ausführlich aus Ostfriesland.
Jheringsfehn gehört zur Gemeinde Moormerland im Landkreis Leer.