Politisches Erdbeben in den Niederlanden: Die Regierung trat am Freitagmittag geschlossen zurück. Das Kabinett stolperte über die sogenannte „toeslagenaffaire“. Die niederländischen Finanzbehörden hatten zwischen 2013 und 2019 rund 26.000 Familien die nötige Beihilfe verweigert – viele Betroffene mussten sogar hohe Summen zurückzahlen. Zu Unrecht.

Viele Familien gerieten durch die Rückzahlungen bzw. die ausbleibenden Zahlungen sogar in Existenznöte. Jahrelang wurden zahlreiche Eltern als Steuerbetrüger abgestempelt.
Erst im Dezember 2020 bestätigte ein Untersuchungsausschuss, dass die Familien grundlos in das Visier der Finanzbehörden gerieten. Mitglieder des Ausschusses sprachen im Nachgang von einer „beispiellosen Ungerechtigkeit“, mit der Grundprinzipien des Rechtsstaats verletzt worden seien.
Finanz-Staatssekretärin Alexandra van Huffelen (Partei D66) kündigte zwar direkt an, dass den betroffenen Eltern die Beihilfen (30.000 Euro pro Familie) nachträglich ausgezahlt werden, aber der Druck auf die Entscheidungsträger nahm nach den Ergebnissen des Untersuchungsausschusses trotzdem zu.

So betonte Jesse Klaver, Fraktionsvorsitzender von GroenLinks: „Die Affäre zeigt die Folgen des Abbaus des Sozialstaates. Das ist Teil Ideologie der Regierungspartei VVD. Genau deshalb muss diese Regierung Verantwortung übernehmen, zurücktreten und den Weg frei machen für eine Regierung, die den Sozialstaat wieder aufbaut.“

Gestern war bereits Lodewijk Asscher zurückgetreten. Er war als damaliger Sozialminister in die „toeslagenaffaire“ (Beihilfe-Affäre) verwickelt. Nun zog er deshalb seine Kandidatur als Spitzenkandidat der sozialdemokratischen PvdA zurück.
In einem Video, das er in den sozialen Medien veröffentlichte, betonte er zwar, nichts von den damaligen Vorgängen gewusst zu haben – aber er wolle seiner Partei vor den anstehenden Parlamentswahlen im März nicht schaden.

Da die Wahlen bereits am 17. März stattfinden, ist der heutige Rücktritt vor allem als symbolischer Akt und Schuldeingeständnis zu werten. Der König muss dem Rücktrittsgesuch noch zustimmen. Das ist allerdings nur ein formaler Akt. Hinsichtlich der Regierungsgeschäfte wird sich in den kommenden zwei Monaten ohnehin wenig ändern. Die Regierung unter Leitung von Ministerpräsident Mark Rutte darf kommissarisch weiterregieren. Und glaubt man den aktuellen Umfragen, wird Rutte auch nach dem Wahltag weiterhin an der Macht sein. Seine liberalkonservative Partei VVD liegt bei den Prognosen deutlich vorne – und das, obwohl die Umfragen schon nach Bekanntwerden der Beihilfe-Affäre stattfanden.