Amsterdam, Berchtesgaden, Folk und Punk. Diese Schlagworte können nur auf einen Songwriter passen: Tim Vantol. Der Niederländer hat sich längst eine große Fanbase erspielt – und wenn es die Pandemie nicht gegeben hätte, wäre er mit den Toten Hosen durch die großen Hallen und Stadien getourt. Im vergangenen Jahr war er mit seinem Album „Better days“ erfolgreich und beeindruckte viele Menschen, als er offen über seine Depressionen sprach und so auf das Thema aufmerksam machte.
Am kommenden Montag ist Tim Vantol zu Gast in Leer. Im Rahmen der Reihe „Neustart Kultur 2021“ tritt er im Zollhaus auf. Mit unserem NOORD360-Interview blicken wir auf diesen Auftritt in unserer Region voraus.
Übrigens: Tickets für das Konzert sind noch HIER verfügbar! 

NOORD360: Tim, Kürzlich haben wir ein Gespräch mitgehört. Dabei ging es um Konzerte in Leer und jemand sagte: „Tim Vantol kommt auch ins Zollhaus. Tim Vantol – der niederländische Frank Turner.“ Freut Dich so ein Vergleich oder findet man es als Musiker eher schwierig mit anderen Kollegen verglichen zu werden?
Tim Vantol: Es bleibt wahrscheinlich nicht aus, dass man verglichen wird. Wir spielen beide Akustikgitarre, wir haben uns beide eine Solo-Karriere aufgebaut und haben beide einen Punkrock- und Hardcore-Hintergrund. Dann wird natürlich schnell eine Verbindung hergestellt. Franks große Bekanntheit spielt dabei natürlich eine Rolle. Ich habe großen Respekt davor, was er macht und wie er es macht. Aber ich finde es schon schwierig, immer wieder mit ihm verglichen zu werden, denn ich mache jetzt inzwischen seit zwölf Jahren mein eigenes Ding. Andererseits kann ich schon verstehen, dass der Vergleich nahe liegt.

Gibt es (weitere) musikalische Vorbilder, die Du hast? Wie würdest Du Deinen Stil selbst beschreiben?
Chuck Ragan hat mir musikalisch die Augen geöffnet. Ich habe ihn 2008 gesehen. Ich glaube, es war in Rotterdam. Nur ein Mann alleine mit seiner akustischen Gitarre auf der Bühne. Und ich dachte: Er macht das schon richtig. Dann hat man auch nicht immer den Stress, wenn ein Mitglied der Band mal keine Zeit hat. Später durfte ich dann mit Chuck auf Tour gehen und das war super! Außerdem haben mich befreundete Bands wie die Donots sehr beeinflusst – vielleicht nicht musikalisch, aber die Art und Weise, wie sie an die Dinge herangehen.

NOORD360 betrachtet als grenzübergreifendes Newsportal alle Dinge aus einer niederländisch-deutschen Perspektive. Deshalb ist Deine Geschichte besonders interessant. Kannst Du kurz erläutern, wie es zustande kommt, dass man in Amsterdam aufwächst und jetzt in Berchtesgaden lebt?
Eigentlich ist die Geschichte schnell erzählt: Meine Frau kommt aus Berchtesgaden. Ich musste dann nicht lange überlegen, zumal es dort wirklich unglaublich schön ist. Ich habe also schnell meine Sachen zusammengepackt und bin in den Süden Deutschlands gezogen. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich davor schon in Nordrhein-Westfalen gewohnt habe.
In den Niederlanden ist es sehr vollgebaut und in Berchtesgaden gefällt mir, dass wir sehr viel Platz haben. Wir leben in 800 Meter Höhe auf einem Berg. Ich kann jederzeit in die Berge gehen. Ich nutze die Gelegenheit zum Spazieren, Fahrradfahren und zum Schwimmen. Ich genieße die Weitläufigkeit.

Du lebst im Süden Deutschlands und bist im Westen der Niederlande aufgewachsen. Jetzt spielst Du bald im Zollhaus in Leer, also im Nordwesten Deutschlands. Gibt es vielleicht auch etwas, das Dich mit dem Norden der Niederlande oder Norddeutschland verbindet?
Nicht viel, ehrlich gesagt. Oder um noch ehrlicher zu sein: Bisher gar nichts. Aber ich freue mich wirklich sehr darauf, dort ein Konzert zu spielen. Das ist das Tolle an einer Tour. Man kommt an Orte, die man ohne Musik vielleicht nie kennengelernt hätte. Und noch besser ist es, die Menschen vor Ort kennenzulernen, wenn sie die Shows besuchen.

Viele Künstler*innen und Musiker*innen haben wegen der Corona-Pandemie eine schwierige Zeit hinter sich. Wie konntest Du die Zeit ohne Auftritte überbrücken?
Ja, es war und ist eine sehr schwierige Zeit – nicht nur finanziell, sondern vor allem psychisch. Das war schon eine große Umstellung, wenn man sonst ständig unterwegs ist und dann plötzlich eineinhalb Jahre zu Hause ist. Andererseits war es aber auch super, weil unsere Tochter im September des vergangenen Jahres geboren wurde und ich ganzen Tag zu Hause war. Wahrscheinlich wird es auch jetzt wieder schwer sein, von zu Hause weg zu sein und meine Frau und meine Tochter eine Zeit lang nicht zu sehen – so gerne ich auch unterwegs bin.
Ansonsten habe ich mein Bestes getan, weiterhin am Ball zu bleiben zu arbeiten. Außerdem war es mir wichtig, mit den Menschen, die meine Musik hören, in Kontakt zu bleiben. Das ging zum Beispiel über Live-Streams oder über mein Patreon-Projekt. Das hat gut funktioniert, ist aber natürlich nicht mit dem gewöhnlichen Tour-Leben zu vergleichen.

Zuletzt solltest Du eigentlich als Support bei den Toten Hosen auftreten und hättest deshalb mehrfach vor zehntausenden Zuschauern gespielt. Leider mussten die Shows wegen Corona ausfallen. Wie kam der Kontakt zu den Hosen zustande? Ist geplant, dass Ihr nochmal gemeinsam auf Tour geht?
Ja, darauf hatte ich mich wirklich sehr darauf gefreut. Schade, dass das nicht geklappt hat. Die Hosen und ich sind bei derselben Booking-Agentur. So kam das zustande. Ich hoffe, dass ich vielleicht bei einer der nächsten Touren der Toten Hosen dabei sein kann. Das wäre wahnsinnig gut. Die Daumen sind gedrückt, damit da noch mal was klappt.

Mit „Better days“ hast Du im vergangenen Jahr ein sehr persönliches Album veröffentlicht, das Optimismus und Zuversicht verbreitet. Du hast im Zuge der Veröffentlichung auch sehr offen über Deine Depressionen gesprochen, was viele Menschen beeindruckt hat. War „Better days“ die logische Antwort auf die schwierigen Phasen in Deinem Leben?
Auf jeden Fall. Ich wollte alles hinter mir lassen und einen Schlussstrich ziehen. Dann kam leider Corona und ich musste weiterkämpfen. Es war aber nicht mehr so schlimm wie vorher. Mir geht es glücklicherweise seit einigen Jahren viel besser. Ich habe einige Dinge verändert und einige wichtige Entscheidungen getroffen. Das waren die Schritte in die richtige Richtung.

Video: Tim Vantol zu Gast im WDR-Rockpalast