Heute vor sechs Monaten wurde in den Niederlanden gewählt. Aber es gibt immer noch keine neue Regierung. Bisher finden sich keine geeigneten Koalitionen. Selten war die Regierungsbildung so schwierig wie dieses Mal. Wir erklären, woran es liegt und ob das ein Vorbote für Deutschland ist.

Am 17. März gewann die konservativ-liberale VVD von Ministerpräsident Mark Rutte zum vierten Mal in Folge die Parlamentswahlen der „Tweede Kamer“ (hier die Ergebnisse). Die Partei errang dabei 34 der 150 Sitze.

Die linksliberale D66 konnte sich 24 Sitze sichern und war eine der Überraschungen bei den Wahlen. Mit der rechtspopulistischen PVV (17) und dem christdemokratische CDA (15) konnten zwei weitere Parteien mehr als zehn Sitze gewinnen. Die linksgerichtete SP (9 Sitze), die sozialdemokratische PvdA (9) sowie GroenLinks (8) mussten sich mit enttäuschenden Ergebnissen begnügen.

Mehrheit schwer zu finden
In den Monaten nach den Wahlen wurden unterschiedliche Möglichkeiten zur Bildung einer Mehrheit im Parlament geprüft. Eine davon war die Option, die vorherige Regierung mit den Parteien VVD, CDA, D66 und der christlich-sozialen ChristenUnie (CU) weiterzuführen. Gemeinsam kämen die vier Parteien auf 77 Sitze – und damit auf eine Mehrheit. VVD und CDA bevorzugen diese Koalition. Aber D66 kann sich keine Zusammenarbeit mehr mit der ChristenUnie vorstellen. Vor allem in ethischen Fragen, zum Beispiel bei Fragen der Euthanasie und Abtreibungen, liegen die beiden Parteien weit auseinander.

Sicher ist: Es muss rechnerisch eigentlich eine Regierungsbildung mit vier Parteien geben, denn die drei erfolgreichsten Parteien der Wahl kämen zusammengerechnet nur auf 75 Sitze – und hätten damit keine Mehrheit. Dazu kommt erschwerend, dass kaum jemand mit der rechtsgerichteten PVV (17 Sitze) zusammenarbeiten möchte.

Neue Optionen
Nach monatelangen Beratungen blieben zuletzt sechs Parteien übrig, die für eine Koalition infrage kommen: VVD, D66, CDA, PvdA, GroenLinks und ChristenUnie. Für VVD, D66 und CDA würde es auch zu einer Mehrheit reichen, wenn sie mit PvdA oder GroenLinks koalieren. Aber PvdA und GroenLinks wollen nur gemeinsam Teil einer Regierung werden. Diese Lösung würde auch D66 bevorzugen. Weiterer Vorteil: Diese Fünf-Parteien-Koalition hätte dann auch eine Mehrheit in der „Eerste Kamer“, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat.

Diese Lösung kommt hingegen für VVD und CDA nicht infrage. Sie befürchten, dass sich die Prioritäten der Regierung bei einer Beteiligung von PvdA UND GroenLinks zu sehr nach links verschieben könnten. Es bleibt also knifflig. Derzeit scheint keine Lösung in Sicht, mit der alle Parteien leben könnten.

Minderheitsregierung oder Neuwahlen?
Inzwischen greifen die Parteien schon nach dem letzten rettenden Strohhalm: So wird inzwischen eine Minderheitsregierung geprüft. Der Nachteil ist bekannt: Die regierenden Parteien sind in Abstimmungen immer auf das Wohlwollen und die Unterstützung anderer Parteien aus dem Parlament angewiesen.

Trotzdem führen VVD, D66 und CDA Gespräche zur Bildung einer Minderheitsregierung. Dass daran alle drei Parteien beteiligt sein werden, sehen Expert*innen eher als unwahrscheinlich an. Denn vor allem in den Fragen Nachhaltigkeit und Klima ist D66 weit entfernt von den Standpunkten von VVD und CDA. Aber zu zweit kämen VVD und D66 nur auf 58 Sitze, VVD und CDA sogar lediglich auf 48 Sitze. Damit zu regieren, dürfte nahezu unmöglich sein. Deshalb ist ungewiss, wie es weitergeht.

Zwar sind fast alle Optionen, auch die einer Mehrheitsregierung, noch offen. Aber in der Praxis stecken die Verhandlungen in einer Sackgasse. Deshalb werden immer mehr Stimmen nach Neuwahlen laut. Polit-Expert*innen gehen jedoch nicht davon aus, dass Neuwahlen zu entscheidenden Veränderungen in der Sitzverteilung führen. Politiker*innen befürchten zudem, dass die Bevölkerung durch Neuwahlen das Vertrauen in die Politik verliert.

Neuer Rekord?
Trotz der langen Verhandlungszeit stellt die aktuelle Situation keinen Rekord dar. Jedenfalls noch nicht. Die längste Regierungsbildung in den Niederlanden dauerte im Jahr 2017 genau 225 Tage. Von diesem fragwürdigen „Rekord“ sind die Parteien nach den aktuellen Wahlen nur noch sechs Wochen entfernt. Stichtag wäre der 29. Oktober.

Vorbote für Deutschland?
Nicht wenige Wahlbeobachter*innen sehen die Niederlande auch als Vorbote für eine Entwicklung, die es zukünftig auch in Deutschland geben könnte. Denn die früheren Volksparteien SPD und CDU sind von traumhaften Wahlergebnissen jenseits der 40-Prozent-Marke weit entfernt. Zwei-Parteien-Koalitionen mit einer großen Mehrheit rücken damit auch in Deutschland immer mehr in weite Ferne. Auf lange Sicht könnten auch im Bundestag Vierer-Bündnisse notwendig sein, um eine Regierung zu bilden. Bereits bei der anstehenden Bundestagswahl am 26. September ist davon auszugehen, dass ein Dreier-Bündnis nötig sein wird, da selbst für die „Große Koalition“ eine Mehrheit nicht mehr sicher ist.