von Mario Rauch

Gleich zwei Derbys stehen in der niederländischen Eredivisie am Sonntag an. Die Brisanz des Duells Feyenoord gegen Ajax ist weit über die Grenzen der Niederlande hinaus bekannt. Im Norden kommt es unterdessen nach sechs Jahren erstmals wieder zum Friesland-Derby: Cambuur Leeuwarden empfängt den sc Heerenveen.

Es ist ein Spiel, das die Menschen schon seit Wochen bewegt. Die regionalen Zeitungen berichten jeden Tag mit Sonderseiten über das Derby. Auch das Fernsehen ist täglich bei den Klubs vor Ort.

Aus Heerenveen wird DKV

Gerade mal 30 Kilometer trennen die beiden Städte in der dünn besiedelten Provinz Friesland mit ihren 650.000 Einwohner*innen – rund 96.000 davon leben in der Hauptstadt Leeuwarden. Zur friesischen Fußball-Metropole hat sich hingegen in den vergangenen Jahrzehnten eher Heerenveen entwickelt. Im Jahr 2000 gelang dem Klub aus der Kleinstadt (30.000 Einwohner*innen) sogar der Sprung in die Champions League. Pikant: Den Einzug in die Königsklasse sicherte sich Heerenveen ausgerechnet am 32. Spieltag der Saison 1999/00 mit einem 2:0-Sieg beim Erzrivalen in Leeuwarden. Für Cambuur bestand nach dieser Niederlage kaum noch Hoffnung auf den Klassenerhalt. In den Folgejahren war Heerenveen regelmäßig im UEFA-Cup und in der Europa League vertreten. Friesische Europacup-Euphorie, die in Leeuwarden kaum jemand teilte – stattdessen wird in der Hauptstadt verächtlich von „DKV“ gesprochen, wenn Heerenveen gemeint ist. Die Abkürzung steht für „dertig kilometer verderop“ (30 Kilometer entfernt). Der Stadtname des Erzrivalen wird in Leeuwarden hingegen nur selten in den Mund genommen.

Cambuur ist die große Überraschung

Cambuur versank viele Jahre im Mittelmaß der 2. niederländischen Liga (Eerste Divisie). 2013 gelang zwar die Rückkehr in die Eredivisie, aber 2016 ging es auch schon wieder runter.
Doch in dieser Saison ist alles anders. Die Leeuwarder haben den Schwung aus der Aufstiegssaison mitgenommen und spielen eine überraschend starke Saison. 27 Punkte aus 16 Spielen hat Cambuur bereits eingefahren. Das bedeutet aktuell Platz 7 – mit Aussicht auf die Europapokal-Plätze. Das hatte dem Low-Budget-Kader (Marktwert: 9,8 Millionen Euro) niemand zugetraut. Heerenveen (Marktwert: 30 Millionen Euro) steht derzeit mit 22 Punkten auf Rang 9.

Cambuur belohnt sich selbst für eine mutige Spielweise, die Trainer Henk de Jong dem Team verordnet hat (mehr Infos hier). Auch gegen Spitzenteams lässt er seine Mannschaft mit einem offensiven 4-3-3-System auflaufen statt Beton anzurühren, wie es andere Außenseiter oft machen.

 

Erkrankung des Trainers schockiert auch den Gegner

Aber Erfolgstrainer Henk de Jong wird am Sonntag beim Derby nicht an der Seitenlinie stehen. Er klagte schon seit längerer Zeit über Schwindelgefühle und sah Gegenstände doppelt. Vergangene Woche wurde eine Zyste im Kopf des Trainers entdeckt. Weitere Untersuchungen folgen. De Jong wird auf unbestimmte Zeit ausfallen, sein Co-Trainer Pascal Bosschaart ist aktuell für die Mannschaft verantwortlich. „Wenn so etwas passiert, rückt die Rivalität in den Hintergrund. Da kann ich auch für alle Verantwortlichen in Heerenveen sprechen. Uns hat das wirklich geschockt“, sagt Johnny Jansen, Trainer des sc Heerenveen. Jansen pflegt seit vielen Jahren ein freundschaftliches Verhältnis zu de Jong, der ihn persönlich über die Erkrankung informierte. Zu Beginn ihrer Trainerkarriere hatten beide gemeinsam die U17-Mannschaft des sc Heerenveen trainiert.

Ohne Publikum – aber auch ohne Ausschreitungen?

Es ist also eine besondere Situation vor dem brisanten Derby. Die Verantwortlichen der Behörden und der Polizei hoffen auch deshalb, dass es rund um das Spiel ruhig bleibt. Aufgrund der Corona-Auflagen muss die Begegnung ohne Publikum ausgetragen werden. „Das heißt aber nicht, dass es nicht trotzdem zu Zwischenfällen kommen kann“, sagt einer Polizei-Sprecherin. Denn bereits in der Vergangenheit kam es immer wieder zu überraschenden Aufeinandertreffen beider Fanlager. Aktuelles Beispiel: Als Heerenveen-Fans im Juli zu einem Testspiel abreisen wollten, wurden sie am eigenen Stadion von gewaltbereiten Cambuur-Anhängern überrascht und angegriffen.

Leeuwarden sieht sich als „Anti-Fries“

Ohnehin ist die Rivalität zwischen Leeuwarden und Heerenveen eine ganz besondere und geht weit über den Fußball hinaus. Denn Friesland ist keine gewöhnliche Provinz innerhalb der Niederlande. Die Menschen in Friesland legen Wert auf ihre eigene Identität – und haben ihre eigene Sprache. Friesisch ist in der Provinz offizielle Amtssprache und es gibt einen Fernsehsender, der fast ausschließlich Beiträge in friesischer Sprache sendet. Darüber hinaus gibt es sogar einige politische Gruppierungen, die die Unabhängigkeit Frieslands und den Austritt aus den Niederlanden fordern. In Leeuwarden stoßen solche Forderungen auf taube Ohren – vor allem in der Cambuur-Fanszene. Die distanziert sich eindeutig vom starken Friesland-Bezug und provoziert mit „Anti-Fries“-Transparenten bei den Derbys. Denn die friesische Folklore wird vor allem dem Erzrivalen aus Heerenveen zugeschrieben. Im dortigen Abe-Lenstra-Stadion wird vor den Spielen sogar das friesische Volkslied gespielt. Wenn Gegner aus den restlichen Niederlanden zu Gast sind, entsteht fast die Atmosphäre eines Länderspiels. Passend dazu läuft Heerenveen traditionell in den Farben der Provinz Friesland auf. Die markante Friesland-Fahne mit den blau-weißen Streifen und sieben Seerosen (die viele für Herzen halten) findet sich auch auf den Trikots des Klubs wieder, während Leeuwarden in den Stadtfarben gelb-blau spielt. Cambuur-Fans und viele Menschen in der Hauptstadt sehen sich nicht als Friesen, sondern in „erster Linie als Leeuwarder und dann als Niederländer“, wie der Sprecher einer Cambuur-Fangruppierung im Gespräch mit vice.com erklärt. Mit Friesland habe er gar nichts am Hut. Er sieht die friesische Identität als „Sache der Menschen vom platten Land“, die in Leeuwarden keine Rolle spiele.

Kritik an Heerenveens Spielweise

Für Brisanz ist also gesorgt. Sportlich sehen viele Expert*innen den eigentlichen Außenseiter Cambuur in der derzeit starken Form sogar leicht favorisiert. Die Heerenveener mussten für ihren Fußball hingegen viel Kritik einstecken. „Zu wenig Tempo, zu viel Ballgeschiebe“, lautet ein Vorwurf der Fans. Im Derby gibt es nun die große Gelegenheit, den eigenen Anhang wieder zu begeistern. Die beiden letzten Derbys in der Saison 2015/16 konnte Heerenveen für sich entscheiden. In der Saison 2013/14 gewann Cambuur erstmals nach 20 Jahren wieder das Duell. Anstoß des 80. Friesland-Derbys ist am Sonntag bereits um 12.15 Uhr im Cambuur-Stadion in Leeuwarden.

 

Heerenveen-Stürmer Henk Veerman brachte noch im vergangenen Jahr den FC St. Pauli mit seinem Tor auf die Siegerstraße beim Derby-Erfolg gegen den HSV. Jetzt will er auch im Friesland-Derby treffen.             Foto: Mario Rauch

 

Heerenveens Trainer Johnny Jansen zeigte sich geschockt von der Erkrankung seines Trainerkollegen und Freundes Henk de Jong.    Foto: Mario Rauch

Doku von „COPA90“ zur Rivalität in Friesland (aus dem Jahr 2016).