„Das fühlt sich an wie die größte Schande, die es jemals im niederländischen Sport gegeben hat!“ Trainer Henk de Jong vom Zweitliga-Tabellenführer Cambuur Leeuwarden nahm kein Blatt vor den Mund, als am Freitag vom niederländischen Fußballverband (KNVB) bestätigt wurde, dass es keinen Auf- und Abstieg zwischen der Eredivisie und der Eerste Divisie (2. Liga) geben wird. Der Verband musste eine Entscheidung treffen, da in den Niederlanden auch die Profifußball-Saison wegen des Coronavirus nicht fortgesetzt werden kann (wir berichteten hier). Die Beschlüsse des KNVB sorgen für große Diskussionen und könnten weitreichende juristische Folgen haben. Mit Cambuur Leeuwarden ist ein Klub aus unserer Region besonders betroffen.

Die Friesen spielten in der 2. Liga eine herausragende Saison. Mit einem Punkteschnitt von 2,27 Punkten pro Spiel war es sogar die beste Spielzeit der Klubgeschichte. Cambuur hat als Tabellenführer elf Punkte Vorsprung auf den dritten Platz. Die beiden ersten Tabellenplätze berechtigen zum direkten Aufstieg. Das Statistikbüro „Hypercube“ hat errechnet: Die Aufstiegswahrscheinlichkeit liegt bei 99,5 Prozent. Doch dann kam die Coronakrise – und der Abbruch der Profiligen. In den Tagen vor der Entscheidung zeigten sich die Verantwortlichen in Leeuwarden noch zuversichtlich. Sollte ihnen tatsächlich der sicher geglaubte Aufstieg genommen werden? Das konnte und wollte sich niemand vorstellen. Aber so kam es. Ebenso betroffen: Der Zweitplatzierte der 2. Liga, De Graafschap. Das Team aus Doetinchem hat immerhin auch sieben Punkte Vorsprung auf Platz 3. Die Gewinner sind hingegen ADO Den Haag und RKC Waalwijk. Der Vorletzte und Letzte der Eredivisie hatten nach 26 von 34 Spielen schon einen deutlichen Rückstand auf das rettende Ufer (7 und 11 Punkte). Aber dank Corona dürfen sie doch erstklassig bleiben.

Cambuur Leeuwarden und De Graafschap wollen jetzt klagen. Eventuell geschieht das sogar gemeinsam. „Wir verlangen nicht, dass ADO und RKC absteigen sollen. Aber wir sollten aufsteigen dürfen. Alles andere wäre einfach unfair. Unsere Verantwortlichen werden dazu auch die UEFA kontaktieren. Die UEFA propagiert immer Fair Play. Aber was hier geschehen ist, war einfach nicht fair“, sagt Cambuur-Trainer Henk de Jong im Interview mit der niederländischen Zeitung „Trouw“. Was die Verantwortlichen in Leeuwarden besonders wütend macht: Sie sehen eine Ungleichbehandlung der Topklubs im Vergleich zu den kleineren Klubs. Denn während sich Ajax als Tabellenführer nach 25 Spielen der Eredivise für die Champions League qualifiziert, steht Cambuur mit leeren Händen da. „Da wird das Champions League-Ticket auf Basis der besseren Tordifferenz vergeben, weil ’schon‘ 75 Prozent der Spiele gespielt wurden. Bei uns wird die Liga für null und nichtig erklärt, weil ‚erst‘ 75 Prozent der Spiele gespielt werden. Das ist doch unglaublich“, so Leeuwardens Geschäftsführer Ard de Graaf im Gespräch mit dem „Algemeen Dagblad“.

Ajax und die Plätze 2 bis 5 der Eredivisie waren nach dem Abbruch als Teilnehmer für die europäischen Wettbewerbe festgelegt worden. Der Verband betonte aber, dass es kein offizielles Ende der Saison gab – und deshalb keinen Meister. Erstmals in ihrer Geschichte blieb die Eredivisie somit ohne Titelträger. Auf dieser Entscheidungsbasis sei auch kein Auf- und Abstieg möglich, argumentierte der Verband.

In Friesland könnte diese Entscheidung auch finanzielle Sorgen zur Folge haben. Cambuur-Schatzmeister Gerald van den Belt sagte in einer TV-Sendung des NOS: „Aufgrund unseres großen Vorsprungs in der Liga haben wir natürlich schon für die Eredivisie geplant. Dazu gehörten auch mehrere Investitionen. In Kombination mit den Verlusten aus der Coronazeit kann das zu großen Problemen führen.“ Ob auch der Bau des neuen Stadions gefährdet sein könnte, ist bisher unklar. Auf jeden Fall werden derzeit alle Möglichkeiten geprüft, um gegen die Entscheidung des Verbands zu klagen.

Auch die deutschen Trainer in den Niederlanden wissen, dass hier eine besonders knifflige Problematik zu lösen ist: „Dass der SC Cam­buur als Tabel­len­führer der 2. Liga vehe­ment gegen diese Lösung wet­tert, kann ich sehr gut nach­voll­ziehen“, betont Frank Wormuth, Trainer von Heracles Almelo gegenüber „11 Freunde“. Der gebürtige Berliner sagt weiter: „Aber wo fängt man an? Wo hört man auf? Ich möchte nicht in der Haut der Ent­schei­dungs­träger ste­cken. Irgend­wann kommt man an den Punkt, an dem man sich fragt: Gibt es über­haupt Gerech­tig­keit? Ich hatte sogar den Gedanken, dass man die Ent­schei­dung in beson­ders knappen Fällen aus­wür­felt. Dann hätte man es wenigs­tens ein Stück weit in der eigenen Hand – wenn auch nur den Würfel.“

Peter Hyballa, Bocholter in Diensten des Zweitligisten NAC Breda, sagte: „Ich konnte es gar nicht glauben, als ich von der Entscheidung erfuhr. Ich hätte anders entschieden. 75 Prozent der Spiele haben stattgefunden. Seien wir ehrlich: ADO und RKC haben eine schwache Saison gespielt, während Cambuur und De Graafschap ein Superjahr hatten. Diese Tatsachen muss man akzeptieren und auch so entscheiden.“