Von Alfred Been

Während in Deutschland der Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 beschlossene Sache ist, wird in den Niederlanden jetzt über den Bau neuer Kernkraftwerke nachgedacht. Als möglicher Standort ist auch Eemshaven im Gespräch. Damit würde sich das AKW in Sichtweite der ostfriesischen Gemeinde Krummhörn auf der anderen Seite der Ems befinden. Atomkraftgegner protestierten bereits gegen dieses Vorhaben. Doch wie wahrscheinlich ist der Bau eines Atomkraftwerks in unserer Region wirklich?

Die Niederlande blicken keineswegs auf eine große Kernkraft-Historie zurück. Das einzige aktive Kernkraftwerk der Niederlande befindet sich in Borssele in Zeeland. Es erzeugt etwa drei Prozent des Energiebedarfs des Landes. Eigentlich sollte das Kraftwerk im Jahr 2033 abgeschaltet werden. Aber inzwischen werden Stimmen laut, das Kraftwerk länger am Netz zu lassen. Ein weiteres niederländisches Kernkraftwerk in Dodewaard (Provinz Gelderland) wurde 1997 abgeschaltet. Neben Eemshaven gibt es für einen Neubau zwei weitere Optionen: So wäre ein Bau an der Maasvlakte bei Rotterdam möglich. Auch der Bau eines zweiten Kernkraftwerk bei Borssele ist eine Option.

Wie sieht es die Politik?
Das Thema „Kernenergie“ blieb trotz aller Probleme und Zwischenfälle immer auf der politischen Agenda der Niederlande. Mehrere Parteien sehen Atomkraft als realistische Option. Auch die VVD, Partei von Ministerpräsident Mark Rutte, befürwortet die Atomenergie.

Gegenwärtig wird immer noch etwa drei Viertel der niederländischen Energie mit fossilen Brennstoffen erzeugt (Quelle: CBS). Der VVD-Abgeordnete Mark Harbers sagte kürzlich gegenüber der Zeitung AD, dass die Kernenergie deshalb „dringend benötigt“ werde: „Nur mit Sonnen- und Windenergie werden wir die Klimaziele im Jahr 2050 nicht erreichen können“.

Generell spaltet die geplante Ausbreitung der Kernenergie-Gewinnung die niederländische Politik. Auch die Regierungsparteien sind untereinander uneinig: Während VVD und CDA für Atomenergie plädieren, sind D66 und die ChristenUnie (CU) dagegen. Auch vor diesem Hintergrund werden die Wahlen zum Repräsentantenhaus (März 2021) mit Spannung erwartet. In jüngsten Umfragen erreichten die Parteien, die in der Kernenergie die Zukunft sehen, mit rund 85 der 150 Sitze im Repräsentantenhaus die Mehrheit.

Aber wie so oft unterscheiden sich lokale und nationale politische Interessen. Dann fallen auch Parteirichtlinien. Die VVD-Abgeordnete für die Provinz Groningen, Mirjam Wulfse, betonte kürzlich, dass ein Kernkraftwerk in Eemshaben „absolut unerwünscht“ sei. Ihrer Ansicht nach sei das Gebiet nicht geeignet und die Kapazitäten in Eemshaven werden benötigt, um die Region für die Nutzung von Wasserstoff vorzubereiten. Anfang dieses Jahres wurde bekannt gegeben, dass Shell, der niederländische Energiekonzern „Gasunie“ und „Groningen Seaports“ das größte umweltfreundliche Wasserstoffprojekt Europas in Eemshaven planen (wir berichteten).

Ist Eemshaven tatsächlich geeignet?
Nach den Studien scheint die Gegend um Eemshaven für den Bau eines Atomkraftwerks geeignet zu sein. Die Lage am Wattenmeer stellt sicher, dass genügend Kühlwasser zur Verfügung steht. Zudem sie die Entfernung zu dicht besiedelten Gebiet relativ groß.

Es gibt jedoch ein Problem, dem bisher erstaunlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde: Erdbeben. Eemshaven liegt zwar nicht im Zentrum der Erdbebenzone, aber es liegt über der Groninger Gasblase, aus der Erdbeben ausgelöst werden. Die Erfahrung von Fukushima zeigt: Kernkraftwerk sollten nicht an einem Ort gebaut werden, an dem Probleme wie Erdbeben oder Überschwemmungen durchaus wahrscheinlich sind. Erdbeben in Eemshaven können weder heute noch in Zukunft ausgeschlossen werden. Der Bau eines Atomkraftwerks in dieser Region würde daher vielen Menschen in der Provinz Groningen schlaflose Nächte bereiten.

Wie stehen die Energiekonzerne zu den Plänen?
Die Konzerne zeigen sich verhalten. Es herrscht eine gewisse Verunsicherung. Vielen ist der Kurs der Regierung zu unklar. Vor rund 15 Jahren wurden auf Initiative der Regierung Milliarden Euro in Kohlekraftwerke investiert, die nun aber bis 2030 auf Anweisung der Regierung geschlossen werden müssen. Die möglichen Betreiber eines Atomkraftwerkes wollen offensichtlich eine Garantie dafür, dass ein Kraftwerk jahrzehntelang genutzt werden kann. Darüber schätzen die Konzerne die Kosten für den Betrieb eines Atomkraftwerks höher ein als die Berechnungen aus der Politik. Auch hier würde es viel Verhandlungsbedarf geben.

Ob die Niederlande also wirklich wieder vermehrt auf Atomkraft setzen, bleibt weiter offen. Denn die Differenzen zwischen Befürwortern und Gegnern scheinen unüberbrückbar. Und es bleibt die Frage, ob die Regierung eine weitreichende Spaltung der Politik und Gesellschaft in der Energie-Frage in Kauf nehmen möchte. Darüber hinaus hat die lokale Politik bereits angekündigt, sich massiv gegen den Bau eines Kernkraftwerks in Eemshaven zur Wehr zu setzen. Auch aus der Bevölkerung wurden Proteste angekündigt. Unterstützung gibt es aus der deutschen Grenzregion. Mehrere Parteien und Organisationen haben bereits jetzt mit Aktionen gegen die Pläne der niederländischen Regierung auf sich aufmerksam gemacht.